Das Rezept fehlt
In der internationalen Spitzen-Leichtathletik hat Andreas Gösele, Sportmediziner und leitender Arzt des Schweizer Leichtathletik-Verbands, sehr individuelle Wettkampfvorbereitungen beobachtet. Die einen kommen sehr kurz vor dem Wettkampf, sehr warm eingepackt, und absolvieren ein leichtes, kurzes Dehnen. Andere, vor allem deutschsprachige Athletinnen und Athleten laufen ein paar Runden und dehnen etwas länger. Bei den nordamerikanischen Leichtathleten könne man aber in den letzten Jahren ein extremes passives Dehnen, oft mit Hilfe des Physiotherapeuten beobachten, etwas, was vielen theoretischen Erkenntnissen widerspricht. "Wahrscheinlich geht es hierbei eher um eine Gelenkmobilisation oder auch um die Dehnung neuraler Strukturen, vielleicht haben diese Athleten aber auch einen anderen Muskelfasertyp", erklärt Andreas Gösele. Für den Breitensport hält er es aus persönlicher Erfahrung für sehr wichtig zu dehnen, um das Verletzungsrisiko zu mindern und Belastungen im Bereich des Sehnenansatzes vorzubeugen.
Im Bereich Fitness wird das Stretching von vielen Organisationen zusehends frei gegeben, beobachtet Arlette Herzig, Dozentin am Basler Institut für Sport und Sportwissenschaften. Vor einem Aerobic-Training habe es kaum Wirkung. Gerade weil aber zu wenig wissenschaftlich belegte Daten über die Wirkung von Stretching vorlägen, müsse man auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Bis heute ist zum Beispiel nicht genau erklärt, welche Strukturen sich dabei im Muskel anpassen. So ist es weniger sinnvoll, mit bereits sehr beweglichen Frauen stundenlang zu dehnen, während für Leute über sechzig ein Beweglichkeitstraining wichtig ist.
Herbert, R., Gabriel, M.: Effects of stretching before and after exercising on muscle soreness and risk of injury: systematic review. BMJ, 31.8.2002.